Innerhalb von vier Minuten von Litzelstetten nach Uhldingen-Mühlhofen fahren, dank einer Brücke über den See. In den 60er-Jahren war das ein Lösungsvorschlag für das hohe Verkehrsaufkommen in der Region, doch am Ende verwarf Stadtrat Josef Hund wegen einiger Bedenken seine Idee. So bleibt sie eine Utopie – oder Dystopie, je nach Blickwinkel.

In den 60er Jahren gab es erste Entwürfe für eine Brücke über den Überlinger See, etwa von Staad nach Meersburg oder von Litzelstetten ...
In den 60er Jahren gab es erste Entwürfe für eine Brücke über den Überlinger See, etwa von Staad nach Meersburg oder von Litzelstetten nach Uhldingen-Mühlhofen. | Bild: Simon Conrads

Im Museum Rosenegg in Kreuzlingen beschäftigt sich aktuell die Ausstellung „Geplatzte Stadtträume“ – so die Eigenschreibweise – mit genau dieser Frage. Über 30 unvollendete Projekte in Konstanz und Kreuzlingen zeigen die Verantwortlichen und zeichnen die Debatten um die Bauten nach – manche liegen Jahrzehnte zurück, andere nur wenige Jahre.

Die Besucher sollen die Frage beantworten: „Hätte dieser Stadttraum verwirklicht werden sollen?“ Kleine Würfel können sie dazu in Kästchen werfen, die mit „Ja“ und „Nein“ beschrieben sind. Hinter der Ausstellung stehen neben dem Museum Rosenegg und dessen Leiter David Bruder auch das Architekturforum Konstanz-Kreuzlingen und dessen Präsident Stefan Neubig sowie die HTWG Konstanz.

Ja oder Nein? Die Besucherinnen und Besucher dürfen mit kleinen Würfeln über die Bauprojekte abstimmen. Hier ist ein Zwischenstand zur ...
Ja oder Nein? Die Besucherinnen und Besucher dürfen mit kleinen Würfeln über die Bauprojekte abstimmen. Hier ist ein Zwischenstand zur Bodenseebrücke zu sehen. | Bild: Simon Conrads

Studenten und Studentinnen der Fakultät Architektur und Gestaltung haben digitale Modelle der Projekte angefertigt, darauf aufbauend physische Modelle aus Pappe produziert und die Ausstellung konzipiert. Angeleitet wurden sie von den Dozenten Oliver Fritz, Eva-Maria Heinrich und Eberhard Schlag.

Zwei Wolkenkratzer an der Grenze

David Bruder führt durch die Räume des Museums Rosenegg. „Hier sind wir jetzt im Bereich Grenze“, sagt er. Mitten im Raum steht ein Modell zweier Türme – einer auf deutscher, einer auf Schweizer Seite auf Klein Venedig. Der Entwurf stammt von einem britischen Architekturbüro, das auch den Burj al Arab in Dubai entworfen hat, die Türme ähneln sich.

An der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen könnte heute dieses Doppelhochhaus stehen – das Londoner Architektenbüro Atkins lieferte ...
An der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen könnte heute dieses Doppelhochhaus stehen – das Londoner Architektenbüro Atkins lieferte diesen Entwurf. | Bild: Simon Conrads

Gerade wegen der Grenzlage und der unterschiedlichen baurechtlichen Situation in Deutschland und der Schweiz musste dieser Traum platzen. Stefan Neubig blickt auf die „Ja“- und „Nein“-Kästchen zu dem Exponat. „Ich fasse es nicht, da haben doch ziemlich viele für Ja gestimmt“, sagt er. Einige Besucher hätten die Türme also gerne verwirklicht gesehen.

Ein moderner Pfahlbau bei Klein Venedig

Es geht einen Raum weiter, in die Schweiz. In Verlängerung der Kunstgrenze auf Klein Venedig entwarf der Bregenzer Architekt Gunter Wratzfeld die „Goldene Schale“ auf Seite der Eidgenossenschaft. Auf einer Tafel im Museum Rosenegg wird das Projekt beschrieben als „moderne Pfahlbausiedlung“, mit einer Fläche von rund 17.000 Quadratmetern.

Die „Goldene Schale“: Das Projekt war schon in Bregenz und Lindau gescheitert, ehe es für Kreuzlingen geplant – und verworfen – wurde.
Die „Goldene Schale“: Das Projekt war schon in Bregenz und Lindau gescheitert, ehe es für Kreuzlingen geplant – und verworfen – wurde. | Bild: Simon Conrads

Ein Hotel, Restaurants, Einkaufsläden – die „Goldene Schale“ hätte ein eigenes kleines Viertel auf dem Wasser werden können. Wäre da nicht das Bodenseeleitbild aus den 70er-Jahren: Das untersagt demnach Neubauten im Uferbereich. Bevor die „Goldene Schale“ in Kreuzlingen Thema wurde, war sie bereits in Bregenz und Lindau verworfen worden. 2005 scheiterte das Projekt dann in Kreuzlingen.

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Ein Riesenbau vor dem Hörnle

In einem anderen Abschnitt des Museums sehen Besucher Stadtträume, die nur auf Konstanzer Gemarkung geplant waren. Als „Kolosseum von Konstanz“ wird eines der Bauprojekte bezeichnet. Das runde Gebäude war auf dem Douglas-Areal angedacht, also etwa dort, wo heute die Kliniken Schmieder stehen.

1500 Bewohner hätten in dem Bau Platz finden sollen, so sah es der Entwurf des Schweizer Architekten André M. Studer vor. Der Konstanzer Gemeinderat votierte laut Ausstellungstext 1971 sogar für den Bau, doch der Bodensee-Erlass aus dem Landesinnenministerium über am Ufer gelegene Großbauten vereitelte das Kolosseum.

Ein Kolosseum für Konstanz: Für eine Fläche kurz vor dem Hörnle, etwa dort wo heute die Klinik Schmieder steht, gab es Pläne für eine ...
Ein Kolosseum für Konstanz: Für eine Fläche kurz vor dem Hörnle, etwa dort wo heute die Klinik Schmieder steht, gab es Pläne für eine „Stadt in der Stadt“, ein imposantes Bauwerk, in dem rund 1500 Bewohner Platz finden sollten. | Bild: Simon Conrads

„Für mich war das immer ein dystopisches Projekt“, sagt Stefan Neubig. Er habe aber durch die Vorbereitung der Ausstellung gelernt, dass es einen anderen Blick auf den Bau gibt. Das Kolosseum hätte womöglich starke Impulse in dem Gebiet gesetzt, glaubt Neubig.

In dem Gebäude hätte es nämlich ein großes Kulturangebot geben können. So sei es letztlich beides: Utopie und Dystopie in einem. David Bruder bestätigt: „Bei manchen Projekten wandelt sich der Blick, je länger man sich damit beschäftigt.“

Stefan Neubig, Präsident des Architekturforums Konstanz-Kreuzlingen: „Für mich war das immer ein dystopisches Projekt.“
Stefan Neubig, Präsident des Architekturforums Konstanz-Kreuzlingen: „Für mich war das immer ein dystopisches Projekt.“ | Bild: Simon Conrads

Wovon träumen die Initiatoren?

Eva-Maria Heinrich und Eberhard Schlag haben sich als Dozentin und Dozent ebenfalls lange mit den Projekten beschäftigt. Welche Objekte hätten sie gerne umgesetzt gesehen? „Ich hätte gerne ein Konzerthaus“, sagt Heinrich und lacht. Mehrere Entwürfe dafür sind in der Ausstellung zu sehen, eines sticht heraus: der „schwimmende Konzertsaal“ von Noel Rabuffetti, also ein Veranstaltungshaus auf dem See.

Eberhard Schlag hebt die grenzüberschreitenden Projekte hervor, „die Idee, dass man diesen Zwischenraum zwischen Konstanz und Kreuzlingen viel stärker beleuchtet.“ Klein Venedig etwa biete noch Potenzial, um die Städte weiter zusammenwachsen zu lassen.

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David Bruder ergänzt, dass die Ausstellung die beiden Städte schon als eine Stadt denkt und so hoffentlich auch ein Bewusstsein dafür schafft, wie nahe sich Konstanz und Kreuzlingen sind. Denn: „Die breite Masse lebt eigentlich mit dem Rücken zur Grenze“, meint der Historiker. So gibt es zwar keine Brücke über den Bodensee, aber zumindest die liebevoll und ansprechend gestaltete Ausstellung als Brückenschlag zwischen Konstanz und Kreuzlingen.